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Artikel“freundin“

Willkommen in Lissabon

Vor neun Jahren hat Anna Gruber ihre Heimat im Norden Deutschlands gegen das entspannte und sonnige Lissabon eingetauscht und ein Bed and Breakfast eröffnet.  Auf einem Ausflug mit dem Roller zeigt sie uns ihre Lieblingsplätze.

Vielleicht hätte ich mir für den Start einen verschwiegeneren Ort aussuchen sollen, als ausgerechnet den Rossio-Platz, die quirlige Hauptschlagader der Stadt. Ich starte mit heulendem Motor, das Vorderrad hebt ab. Im Café Nicola richten sich Augenpaare, die eben noch in die Zeitung versunken waren auf mich. Ich halte die Luft an, zum Rotwerden ist keine Zeit. Schließlich besiege ich die Tücken der bockigen Gangschaltung und der Roller schnurrt ganz zahm los. Ich atme wieder aus. Die Stadtrundfahrt kann beginnen.

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2007 bin ich ich hierhergezogen, nachdem ich Norddeutschland den Rücken zugekehrt hatte, und gen Süden zu neuen Abenteuern aufgebrochen bin. In Brasilien habe ich Portugiesisch gelernt und mit Straßenkindern in Favelas gearbeitet.
Florida und Frankreich kamen als Stationen hinzu, dort habe ich berufliche Erfahrungen im Hotelbusiness gesammelt und bin schließlich in Portugal gelandet. In Lissabon habe ich den Anker geworfen und mein eigenes Bed and Breakfast eröffnet.

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Die Begeisterung für meine Stadt gebe ich gern an meine Gäste weiter und ich denke mir immerwieder etwas Neues für sie aus.
Meine neueste Idee: Stadterkundung auf dem Roller. Natürlich muss ich es selbst ausprobieren, bevor ich es meinen Gästen empfehle.
Als erstes tuckere ich, der  alten Sraßenbahn-Linie 28 folgend,  steil bergauf zu meinem Lieblings-Aussichtspunkt „Miradouro da Nossa Senhora do Monte“.

Ein Ruck geht plötzlich durch den hölzernen Wagen der „Electrico“, die vor mir her trödelt. Die Fahrgäste schaukeln hin und her wie Marionetten. Quietschend kommt der hölzerne Wagen mitten auf der Strecke zum Stehen – kein Grund für die Fahrgäste, ihre Gespräche zu unterbrechen. Der Straßenbahnfahrer steigt aus, schiebt ein auf den Gleisen parkendes Auto beiseite, und schon rumpelt die Straßenbahn weiter.

Willkommen in Lissabon, der Stadt mit ruhigem Puls. Genau solche Momente sind es, in denen mir bewusst wird, dass ich mir genau die richtige Stadt zum Leben ausgesucht habe: Mir gefällt diese Gelassenheit und die unaufdringliche, sanfte Art der Menschen.
Hier oben auf dem Aussichtspunkt mit der kleinen Maria-Kapelle geht der Blick über die verschachtelten Dächerlandschaften der Alfama. Die Altstadt hat in den letzten Jahren ein freundlicheres Make-up bekommen, aber ihr Charme ist noch erhalten.
Zur linken der Burgberg mit der Festung Sao Jorge und Rechterhand glitzert schon der Atlantik. Je länger mein Blick über das Panorama wandert, desto größer wird die Lust, alle Winkel und Gassen zu erkunden.

 

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Weiter geht’s.
Ich schlängele mich– begleitet von gleichmäßigem Viertakter-Surren – die Hügel hinauf und hinunter, auf kleinen holprigen immer enger werdenden Gassen, unter Vogelkäfigen und flatternder Wäsche durch das ehemalige Maurenviertel Mouraria. Winklige Gassen führen zu stillen Plätzen. Fado, der Blues Portugals, hier wurde er geboren und hier ist er noch immer lebendig. Auch jetzt dringt aus einem geöffneten Fenster leise eines jener sehnsuchtsvollen Lieder. Ist es vielleicht sogar eines der ersten Fado-Sängerin, Maria Severa, die 1820 in der Mouraria geboren wurde?

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Auf Häuserdächern mit schiefen Regenrinnen wachsen kleine Bäume. Hinter blätternder Fassade verbirgt sich eine improvisierte Bar, ein paar Meter weiter sind Datteln, Feigen und Melonen vor den Gemüseläden drapiert.

Im Vorbeifahren winke ich Mica zu, den ich an seinem gezwirbelten Schnurrbart erkenne. Seine artistischen Jongleur Nummern habe ich im letzten Sommer hier im Viertel gesehen. Ich mag es, dieses dörfliche Flair in Mouraria. Es war einst ein Viertel außerhalb der Stadtmauern, in das die Mauren im 12 Jahrhundert vertrieben wurden. Heute ist es bunt gemischt: Portugiesen aller Schichten und Altersklassen, Chinesen und Bangladeshis leben hier nicht unbedingt mit-, aber immerhin friedlich nebeneinander leben.

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Der nahe gelegene Platz „Largo Intendente“ wurde in den letzten Jahren aufwendig restauriert. Die bröckelnden Fassaden der gegenüberliegenden Straßenseite. lassen erahnen, wie es hier vorher aussah, als hier noch Prostituierte und Drogendealer das Bild prägten. Mittlerweile gehört er zu den bevorzugten Hotspots eines stylischen Publikums, das bei Salat und Ziegenkäsetoasts in der Sonne sitzt. Aber auch ich fühle mich wohl hier und freue mich an den kostbaren alten Fliesen, der klassischen Fassadenverkleidung, die so typisch ist für Lissabon. Azulejos werden Sie genannt. Sie brechen und reflektieren das Sonnenlicht und bringen die Stadt zum Strahlen.

Gleich um die Ecke liegt einer meiner Lieblingsläden mit Produkten ausschließlich „Made in Portugal“. Sorgsame Handarbeit aus alten Manufakturen hübsch verpackt, wie die Jasmin-Seife mit eingelassenen Goldpartikeln sind tolle Geschenke.

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Samstag ist in Lissabon Flohmarkttag. Der „Markt der Diebinnen“, die Feira da Ladra ist mir der liebste. Nur einmal Gas geben, statt den Berg zu Fuß hinauf zu keuchen – mein Roller wächst mir allmählich ans Herz. An einem Stand mit einzelnen Azulejos muss ich stehenbleiben. Kaufen werde ich sie nicht, damit würde ich den Raubbau an den Fassaden unterstützen. Die Fliesen werden gern in Nacht und Nebel-Aktionen von den Häuserwänden geklopft. In meine Tasche wandern stattdessen: eine antike Messing-Lampe, eine schräge Sonnenbrille und eigensinnige Zeichnungen mit Kaffee auf Pappe gemalt. Mit fetter Beute schlendere ich zum Clara Clara Café in einem runden Kiosk aus dem 19. Jahrhundert. Hier gibt es köstliche hausgemachte Limonade und einen nicht minder köstlichen Blick über den Tejo und das Pantheon.

Beschwingt geht es weiter zum Cais Sodré, in ein anderes Setting.

Geschleppt und geschoben wird auf dem Mercado da Ribera. Trotzdem wirkt der Markt kein bisschen hektisch. Auch hier spüre ich ihn wieder: den ruhigen Puls von Lissabon. Neben den klassischen Markthallen gibt es einen Food Court mit gehobener Küche im Imbiss Format. Ohne Schwellenangst Sterne-Küche probieren, lautet das Motto. Das in Teriyakisauce marinierte Schweinefleisch auf Erbsenpüree mit Pak Choi vom Starkoch Alexandre Silva glänzt verlockend. Schwach werde ich schließlich bei der Schinken-Platte mit Pata Negra.

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Nur wenige Roll-Minuten nach Alcantara. Direkt unter der Hängebrücke ist neues Leben in die Gemäuer einer ehemaligen Textilmanufaktur gezogen: die „LX Fabrik“. Wo früher Garne gedreht und Stoffe gewebt wurden, sitzen heute junge Handwerker, Designer, Köche oder Startups – mal hinter Töpferscheiben, mal an Flachbildschirmen. Meine Lieblingsbuchhandlung mit Regalen bis unter die hohe Decke und einem Café mit exotischen Teesorten.

In den Hinterhöfen Vintage Läden mit dekorativen Möbeln, ein Fahrradverleih, ein kleines Restaurant, in dem eine stillgelegte Druckmaschinen den Gastraum dominieren. Jetzt, da der Ansturm auf den Mittagstisch vorüber ist, wird der Raum auch als flexibler Arbeitsraum genutzt und frisches Gemüse in handgefaltete Teigtaschen gefüllt.

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Ich habe genug vom Großstadtgetriebe. Um mit dem Roller die von mir so geliebten wilden Strände anfahren zu können, muss ich zunächst die Autofähre nehmen. Sie verbindet das Viertel Belem im Westen mit der Meeresmündung in Trafaria und bringt mich in gerade mal einer halben Stunde in eine Welt aus Salzluft und Meeresrauschen. Ich nehme die Küstenstraße, genieße den Fahrtwind und jenes unbändig freudige Gefühl von Freiheit, das mich hier jedes Mal befällt. Immer weiter und ursprünglicher werden die Strände. Ich spüre förmlich, wie sich meine Akkus aufladen, als übertrage sich die Kraft der Wellen, die hier mit machtvollem Rauschen ans Ufer schlagen.

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Vom Meer geht es wieder an den Fluss. Ich bleibe heute auf dieser Seite des Tejo und ergattere einen Logenplatz im Abendlicht auf dem Steg des Restaurants „Ponte Final“ – für mich der perfekte Ort für einen Sundowner. Die Tische stehen direkt am Rand des schmalen steinernen Kais, rotgolden geht die Sonne unter, die vielen kleinen Lichter auf der Hängebrücke leuchten auf.

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Mein Blick auf die Szenerie wird von meinem Tischnachbarn bemerkt, wir kommen ins Gespräch und sind uns schnell einig: Diese Stadt hat ihren ganz eigenen Charakter, auch wenn die Hängebrücke „Ponte 25 de Abril“ unverkennbar nach dem Vorbild der Golden Gate Bridge gebaut wurde und der und der monumentale Jesus- „Cristo Rei“ über uns auf der Steilküste, eine originalgetreue Kopie der berühmten Statue in Rio de Janeiro ist. Spontan stoßen wir an, einfach so – auch das ist Lissabon.

Mit einem beschlagenen Glas Vinho Verde in der Hand und dem Blick auf die dunkler werdende Silhouette der Stadt, komme ich mir vor wie im Film. Manchmal muss ich mich kneifen, um sicher zu gehen, dass ich das alles nicht doch nur träume.